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Multitalente: Bitterstoffe!

Bitterstoffe sind wahre Alleskönner!

Bitterstoffe sind allgemein bekannt für ihre Unterstützung bei Appetitlosigkeit, einer Vielzahl von Verdauungsbeschwerden und Magen- und Darmerkrankungen. In traditionellen Medizinsystemen wie dem Ayurveda wird die große und heterogene Gruppe der Bitterstoffpflanzen aber noch vielseitiger eingesetzt. Neben der Verdauungsunterstützung, werden ihnen weitere Wirkungen zugeschrieben, diese reichen von fiebersenkend über toxinausleitend, harntreibend bis hin zu entzündungshemmend, blutreinigend, hautreinigend, juckreizstillend und Allergien lindernd. [1]

Bitterstoffe in der ayurvedischen Ernährungsberatung

Bitter ist im Ayurveda eine der sechs Geschmacksrichtungen (ayurvedisch: Rasa) neben süß, sauer, salzig, scharf und herb/adstringierend. Rasa ist zusammen mit weiteren Bewertungsprinzipien für die Gesamtwirkung eines Lebens- oder Arzneimittels verantwortlich. Berücksichtigt werden z.B. auch der thermische Effekt – Virya- (kühlend oder erhitzend) oder die Eigenschaften – Gunas – (10 Gegensatzpaare wie: schwer/leicht, feucht/trocken, fest/flüssig). Aus der Summe der Kriterien ergibt sich Karma, die Wirkung auf den Körper, auf die drei Steuerungsprinzipien - Doshas - Vata, Pitta und Kapha und auf die Psyche. 

 

Damit lassen sich Heilpflanzen und Lebensmittel sehr gezielt therapeutisch im Rahmen einer Ayurveda Therapie oder Ayurveda Ernährungsberatung einsetzen und auf die individuelle Situation und Konstitution abstimmen. So können Imbalancen behoben oder manifeste Krankheiten behandelt werden.

 

 

Grundsätzlich hat bitter eine reduzierende Wirkung auf Pitta und Kapha und wirkt nach ayurvedischer Auffassung katabol, d.h. Körpergewebe reduzierend, besonders das Fettgewebe. Neben ihrer blutreinigenden Wirkung erklärt dies die Bedeutung von Bitterstoffen für den Detoxprozess. 

Bitterstoffe sind allgegenwärtig!

Aber auch in der westlichen Welt werden Bitterstoffe schon lange eingesetzt. Der Arzt Hippokrates (ca. 460 - ca. 370 v. Chr.), Hildegard von Bingen (1098 - 1179) oder Paracelsus (1493-1541) nutzten sie ebenfalls therapeutisch. In der modernen Naturwissenschaft waren sie allerdings lange nicht so sehr von Interesse, bis im Jahr 2000 die Bitterstoffrezeptoren entdeckt wurden.

 

Sehr spannend ist, dass sich diese Rezeptoren nicht - wie man zunächst vermuten würde - nur im Mund in den Geschmacksknospen der Zunge befinden. Im Jahr 2010 wurde erstmals im Fachmagazin Nature Medicine beschrieben, dass sich Bitterstoffrezeptoren auch in den Bronchien ausbilden und dort bei Aktivierung zu einer Erweiterung der Bronchien führen, was z.B. für die Asthmabehandlung von Interesse ist.

 

Nach und nach wurden im gesamten Magen-Darmtrakt und in vielen weiteren Organen Bitterrezeptoren entdeckt. 2015 hat man diese in der Epidermis der menschlichen Haut identifiziert und festgestellt, dass äußerlich aufgetragene Bitterstoffe zu einer Stärkung der Hautbarriere beitragen, indem die Hautzellen daraufhin Schutzproteine und Lipide produzieren. Die Hautregeneration wird gefördert und es gibt außerdem entzündungs- und immunmodulierend Effekte. Erste Untersuchungen zeigen vielversprechende Wirkungen bei Neurodermitis mit trockener und entzündeter Haut.

 

Aber auch die innerliche Einnahme von Bitterstoffen bei Hautproblemen hat sich in der Anthroposophischen Medizin, in der TCM und im Ayurveda bewährt, dies ist unter anderem auf eine Anregung des Leberstoffwechsels zurückzuführen. Im Ayurveda werden dazu Heilpflanzen wie Kurkuma (Curcuma longa), Neem (Azadirachta indica), Guduchi (Tinospora cordifolia) oder auch Weihrauch (Boswellia serrata) genutzt.

 

In vielen weiteren Körpergeweben sind Bitterstoffrezeptoren entdeckt worden, die überall sehr spezifisch regulierenden Funktionen werden ständig weiter erforscht. So hat man bisher Bitterstoffrezeptoren u.a. in der Blase, im Gehirn, im Herz und in Spermien entdeckt.

 

Und auch auf die Psyche scheinen sich Bitterstoffe positiv auszuwirken: Sie wecken die Lebensgeister, machen wacher, klarer, helfen bei Erschöpfung und ihnen werden antidepressive Wirkungen zu geschrieben. [2]

 

 

Es gibt um die 250 bitter schmeckende Pflanzen, die bitterste hier in Europa ist der Gelbe Enzian, es folgen Wermut und das Tausendgüldenkraut. Die Bitterkeit kann übrigens nicht maschinell, sondern nur organoleptisch, also mit unseren Geschmacksknospen getestet werden. Enzian ist so bitter, dass er sogar bei einer Verdünnung von 1: 58 Millionen noch bitter schmeckt! 

Was passiert, wenn wir Bitterstoffe einnehmen?

Erstaunlicherweise setzt die Wirkung für unseren Magen-Darmtrakt schon durch den ersten Kontakt im Mund und auf der Zunge ein. Ein Signal an das Gehirn löst bei den Speicheldrüsen die erste Speichelsekretion aus. Dies führt zu einer verbesserten Vorverdauung der später zugeführten Nahrung bereits im Mund. Außerdem werden Magen, Leber und Pankreas zur Produktion von Verdauungssäften angeregt. Im Magen und im Dünndarm kommt es darüber hinaus zur Steigerung der Motilität (Beweglichkeit), die Magenschleimhaut wird besser durchblutet und es findet eine hormonelle Aktivierung der Produktion von Magensäure statt.

 

Durch den bitteren Kontakt auf der Zunge wird die Ausschüttung weiterer Hormone veranlasst: Das CCK (Cholecystokinin), das zur Produktion von Galle und Pankreasenzymen und einer Kontraktion der Gallenblase führt, und das GLP-1 (Glucagon-like Peptide-1), das für die Appetitregulation und Sättigung zuständig ist. Die Messfühler für GLP-1 melden auch, wenn genug Essen im Magen-Darm-Trakt angekommen ist. Dann wird GLP-1 vom Magen und später vom Darm ausgeschüttet, es senkt den Zuckerspiegel und den Appetit. Dieser Effekt ist in aller Munde, da das Hormon auch in den Abnehmspritzen der Arzneimittel Ozempic und Wegovy und zur Behandlung von Diabetes mellitus Typ 2 eingesetzt wird. Doch auch auf natürliche Art lässt sich das GLP-1 pushen: Nämlich durch Bitterstoffe und sehr gut auch durch reichlich Ballaststoffe in unserer Ernährung. [3]

 

 

Bitterstoffe sind also nicht nur bei Appetitlosigkeit, sondern auch zum Zügeln des Appetits und zur Reduktion von Heißhunger auf Süßes von Nutzen. Sie unterstützen den Verdauungsprozess und die Entgiftung auf vielfältige Weise, begünstigen die Selbstreinigung des Darms, z.B. bei Verstopfungsneigung, und sie verbessern den pH-Wert des Stuhls, so dass sich durch die Milieuveränderung förderliche Darmbakterien leichter und nachhaltiger ansiedeln [4].

Salat mit Radicchio und Oliven

Wo finden wir Bitterstoffe?

Unsere Lebensmittel sind zwar durch neue Züchtungen immer ärmer an Bitterstoffen geworden, doch in Chicorée, Radicchio, Rucola, Endiviensalat, grünem Blattgemüse wie Mangold, Spinat, Grünkohl oder Artischocken sind sie noch enthalten. Auf Wochenmärkten und bei Biohöfen werden  immer mehr alte und bittere Sorten angeboten, hier lohnt es sich, Neues auszuprobieren. 

 

 

Einige Beispiele für bittere Gewürze und Heilpflanzen sind neben dem extrem bitteren Gelbem Enzian, Tausendgüldenkraut, Wermut auch Schafgarbe, Wegwarte, Löwenzahnkraut und -wurzel, Kurkuma, Nelke, Ajwain/Königskümmel, Majoran, Thymian, Muskatnuss, Basilikum und Koriandersamen.

 

Die Einnahme kann über Tees als Einzeldroge oder Mischungen erfolgen, durch fertige Bittertropfen von verschiedenen Herstellern oder über  Bitterkräuterpulver. Ideal ist es, wenn die Bitterstoffe mit unseren Geschmacksknospen im Mund in Berührung kommen, auch wenn es erstmal unangenehm ist - wir gewöhnen uns daran! Kapseln sind aus den obengenannten Gründen nicht so effektiv, haben aber trotzdem über die Rezeptoren in der Darmschleimhaut  eine Wirkung. Am einfachsten ist die regelmäßige Verwendung von entsprechenden Gewürzen,  Kräutern und Lebensmitteln in der täglichen Ernährung.

 

Warnhinweise:

Bei der Anwendung von Bitterstoffpräparaten ist in der Schwangerschaft und Stillzeit ist unbedingt eine Rücksprache mit einem Arzt erforderlich! Auch die Anwendung bei Kindern unter 18 Jahren sollte nur nach ärztliche Zustimmung erfolgen. Bei Gallensteinen und Magen- oder Zwölffingerdarmgeschwüren sollte keine Einnahme erfolgen. 

Quellen:

[1] Schrott, Ammon: Heilpflanzen der ayurvedischen und westlichen Medizin, , 2012, S.27f

[2] https://natuerlich.thieme.de/spezialthemen/hauterkrankungen/detail/die-haut-mags-bitter-302, Artikel von Prof. Dr. med. Dipl. Biol. Christoph M. Schempp, 29.3.2022.

 

[3] Prof. Dr. Andreas Michalsen, Ernährung. Meine Quintessenz. Berlin 2024

[4] Margret Madejsky: Entgiften mit Heilkräutern, atVerlag 2024, S.43 f

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